Interview mit Bodo Ramelow im Original

In den Ausgaben des Kurier 01/22 und 01/23 wurde mein Interview mit Bodo Ramelow zu seiner Amtszeit als Bundesratspräsident von 2021 bis 2022 abgedruckt. Aus Platzgründen in der Zeitung mussten Abstriche gemacht werden. Das Gespräch wurde am 18.11.2022 geführt, könnte also in einigen Teilen nicht mehr aktuell sein! Hier das komplette Interview:
KURIER: Zur Antrittsrede als Bundesratspräsident am 08.10.2021 sprachst Du von der Herkulesaufgabe in Bezug auf ökologische und digitale Modernisierung. Konnten Gräben zwischen den Ländern in Bezug auf den Stromtransport von windreichen zu energieintensiven Regionen zugeschüttet werden, so dass die ökologische und digitale Modernisierung besser planbar wird?
Bodo Ramelow: Wir sind mitten im Veränderungsprozess. Schon mit Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens hätten wir den Umbau in Angriff nehmen müssen. Ich bedaure sehr, dass es viele Jahre dauerte. Deshalb beschrieb ich in der Antrittsrede, dass der Umbau Aufgabe der Gegenwart und nicht der Zukunft ist. Es stellt sich nicht die Frage, dieses Thema ideologisch zuzuschütten, wie es die CDU die ganze Zeit tat, sondern wie wir an jedem Industriestandort alles Mögliche tun, um regenerative Energieträger wie Windkraft-, Solar- und Biomassekraftwerke in den Regionen zu mobilisieren. Das Thema Wasserstoff muss intensiver bearbeitet werden, in Thüringen bauten wir Forschungskapazitäten auf. In Sonneberg entstand das Forschungszentrum HySon, das sich mit Wasserstofflagerung, Transport und Speicherung beschäftigt. Die Energiekrise, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und das Waldsterben, insbesondere bei Fichten, machen den Veränderungsprozess umso dringlicher. Er wird durch die Landesregierung weiter massiv angeschoben.
KURIER: Während der Präsidentschaft hast Du einige Staatsbesuche unternommen. Welche Länder und Begegnungen sind Dir besonders im Gedächtnis geblieben?
Bodo Ramelow: Insgesamt hatte ich 83 Sondertermine, darunter Besuche des spanischen Senats in Thüringen und anderer Senatsvertretungen der jeweils Zweiten Kammern, mit denen ich über verschiedene Aspekte der je eigenen föderalen Systeme ins Gespräch kam. Sechs Staatsbesuche unternahm ich, die mich auch nach Rumänien und Polen führten. Ost- und mitteleuropäische Staaten empfinden ähnlich wie Thüringen im Verhältnis zu Westdeutschland das Ost-West-Gefälle.
Bereits beim Landeanflug spürte ich die Sorgen in Rumänien, nicht zuletzt durch die deutlich wahrnehmbare Flugabwehr. Nachdrücklich waren Sorgen in Polen zu fühlen, dass Deutschland und Russland Abkommen schließen oder Verhandlungen führen könnten, die sie bereits historisch erlebten (Red.: geheimes Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt). Am 01.09.39 überfiel die Wehrmacht und am 17.09.39 von der anderen Seite die Sowjet-Armee Polen. Dieses Trauma wirkt bis heute fort.
3 Mio. jüdische Menschen und insgesamt 6 Mio. Polen (17,2% der Bevölkerung) wurden in unserem Nachbarland durch Wehrmacht und Sowjet-Armee ermordet. Deshalb registrieren die Menschen dort sehr genau, wie sich Deutschland in der gegenwärtigen Lage verhält.
KURIER: Als bisher höchstrangigster deutscher Politiker hast Du die Ex- Colonia Dignidad in Chile bereist. Bilaterale Gespräche zur Errichtung einer Gedenkstätte stocken. Konnten neue Akzente in der Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Chile und Opferverbänden gesetzt werden?
Bodo Ramelow: Diese Reise war ganz besonders wichtig. Ich hatte sie unter anderem geplant, da einerseits mit Gabriel Boric ein junger linker Präsident gewählt wurde, andererseits in der verfassungsgebenden Versammlung aktuell ein Prozess stattfindet, dessen Ziel die Transformation der alten Pinochet-Verfassung hin zu einer zeitgemäßen, modernen Verfassung ist. Die dritte Dimension ist das Thema Energie, in Chile wird Lithium abgebaut, deshalb hatte ich auch die Bergbauunternehmen K-UTEC und Schachtbau Nordhausen dabei. Es gibt in Chile Wind und Sonne reichlich, in Patagonien kann durch Windkraft speicher- und transportierbarer grüner Wasserstoff hergestellt werden. In der Atacama-Wüste gibt es völlig neue Solarkraftwerke und es findet Siliziumabbau statt. Die vierte politische Dimension war tatsächlich der Besuch in der Colonia Dignidad, bei der mich der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Prof. Jens-Christian Wagner begleitete. Prof. Wagner gehört als einer von vier Verantwortungsträgern dem Gremium an, dass das Thema Colonia Dignidad bearbeitet. Sein großes Verdienst ist, dass er alle Opferverbände an einen Tisch brachte, einerseits die chilenischen Verbände, deren Angehörige ermordet wurden und andererseits die Koloniebewohner, deren Eltern wegschauten oder duldeten, was dort geschah. Auch die Bewohner sind Opfer, weil Jungen vergewaltigt wurden und Frauen Demütigungen erdulden mussten. Das Ausmaß des Leids ist unvorstellbar. Deshalb war es wichtig, dass wir zusammen im wahrsten Sinne des Wortes an einem Tisch saßen und reden konnten. Es gibt eine hohe Erwartungshaltung in Richtung Deutschland. Der Bundestag hat Geld für die Aufarbeitung bereitgestellt. Nunmehr ist es wichtig, dass wir die vermittelnde und ausgleichende Rolle übernehmen. Ich glaube, dass meine Reise den Handlungsdruck auf Seiten der beteiligten Akteure deutlich gesteigert hat. Auch mit der Bundesregierung bin ich über das weitere Vorgehen mit Blick auf diese wichtige Gedenkarbeit in regem Austausch.
KURIER: Wie beurteilst Du die aktuelle politische Lage bezüglich der gegenwärtigen Krisen (Ukraine-Krieg, Energiekrise, steigende Armut)?
Bodo Ramelow: Wir müssen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nüchtern analysieren. Ich war lebenslang gegen Krieg und Waffenlieferungen. Es ist schwer erträglich, dass Putin diesen Krieg anordnete, bis heute führt und dabei tausende Menschen in den Tod jagt. Putins chauvinistische und imperiale Machtstaatsfantasien sind dabei überdeutlich erkennbar. Ich tue mich sehr schwer, wie die russische Führung agiert und sage nachdrücklich, dass wir eine Zielstellung brauchen, die deutlich macht, dass der Krieg sofort beendet und die russischen Truppen aus der Ukraine abgezogen werden müssen. Die Ukraine muss sich verteidigen können und gleichzeitig klären, welchen Weg sie gehen will. Es ist kein Prozess, in den man sich von außen aus Ost oder West, Nord oder Süd einmischen darf.
Das vertraglich geschuldete russische Gas wird bis heute nicht geliefert, obwohl es durch die seit Jahrzehnten bestehende Transgas- und Jamal- Pipeline transportiert werden könnte. Teil des Krieges ist auch die künstlich erzeugte Energieknappheit, in die Putin uns treibt und gleichzeitig die Spritpreise nach oben bewegt, da auch deutsche Raffinerien in den vergangenen Jahren an russische Firmen verkauft wurden. Energiekonzerne schwimmen im Geld, nur der Gas- Großhandel in Deutschland verbraucht sehr viel Steuergeld, damit wir die Preise für die Kunden wieder künstlich nach unten drücken. Es ist in Ordnung, dass jetzt die Gas- und Strompreisbremsen kommen. Mir wäre jedoch lieber gewesen, dass man sowohl Öl- und Gas- als auch Strompreise bereits vor drei Monaten staatlich kontrolliert hätte. Leider lehnte man regulierende Maßnahmen aus ideologischen Gründen ab.
Es kommen zum Jahreswechsel Hilfsmaßnahmen zum Tragen. So wird der Erdgasabschlag im Dezember für alle Bürger vom Staat übernommen, im Frühjahr 2023 kommen Gas- und Strompreisbremse, so dass die Kosten für die Menschen kalkulierbar werden.
Überall wo die Instrumente nicht greifen oder Notfälle eintreten, bildeten wir einen Fonds, der Unternehmen wie Bäcker oder Fleischer unterstützt, die hohe Preise nicht mehr zahlen können. Gerade zeichnete der Thüringer Landtag 407 Mio Euro frei, damit wir über die Maßnahmen des Bundes hinaus noch zusätzliche Hilfsinstrumente zur Verfügung haben.
Die Spreizung zwischen Arm und Reich hat sich verschärft. Wir können nur mit Hilfsgeldern denen beistehen, die nicht mehr handlungsfähig sind. Diese Spaltung deutlich zu adressieren, muss eines der vorrangigen Anliegen linker Politik sein. Konzepte der LINKE zur Besteuerung von Reichtum müssen deutlicher herausgestellt und eingefordert werden. Umverteilung und Besteuerung von Vermögenden bzw. Erbschaften gehören hier ebenfalls priorisiert auf die politische Agenda.
Am 14.11.22 stoppten die unionsregierten Länder das Bürgergeld im Bundesrat. Als LINKE sagen wir, dass wir die Sanktionen abschaffen wollen, die CDU hingegen kritisiert angeblich zu lasche Sanktionen und verunglimpft Menschen in Not als Faulenzer oder Schnorrer. Hier müssen wir als LINKE ein klares Stop-Schild aufstellen. Die Würde des Menschen – und zwar jedes Menschen – ist unantastbar.
Wir LINKE sind an vier Landesregierungen beteiligt. Hätten wir eine fünfte gehabt, wäre die Abstimmung im Bundesrat anders ausgegangen. Man muss sich klarmachen, dass links auch dann funktioniert, wenn man es auf den ersten Blick nicht sehen kann. Den starken Staat brauchen die Reichen nicht, denn sie nutzen ihn, um ihren Reichtum zu mehren; den wirklich starken Staat brauchen die Schwachen, damit sie ihre Schwächen überwinden können.
Wenn wir mit parlamentarischer Stärke mitentscheiden können, schaffen wir es, die Gesellschaft sozialer und gerechter zu gestalten. Deshalb braucht es LINKE in Regierungsverantwortung.
Der KURIER bedankt sich herzlich für das Gespräch.